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Überblick

Wie bereits beim verkehrsrelevanten Sehen und Hören sowie der Entwicklung der psycho-motorischen und sozial-emotionalen Fähigkeiten ausgeführt, sind auch die intellektuell-kognitiven Fähigkeiten im Volksschulalter noch nicht voll ausgereift. Die Denk- und Entscheidungsprozesse sind aus diesem Grund analog zu den Wahrnehmungsprozessen ebenfalls noch langsamer als bei Erwachsenen. Wie sich die für Verkehrssicherheit relevanten kognitiven Fähigkeitsbereiche im Alter von 6 bis 10 Jahren entwickeln, wird auf den folgenden Seiten ausgeführt.

1. Entwicklung der Aufmerksamkeitsfähigkeit

Bis zum Alter von ca. 4 Jahren werden die Aufmerksamkeitsprozesse bei Kindern in erster Linie durch (emotional) interessante Reize gesteuert. Sie können daher in diesem Alter noch keine hinreichende Aufmerksamkeitsleistung für die eigene Verkehrssicherheit aufbringen.

Mit ca. 5 Jahren, mit dem Erreichen des Vorschulalters, erfolgt für gewöhnlich ein kognitiver Entwicklungssprung. Die Kinder beginnen, ihre Aufmerksamkeit bewusst(er) zu steuern und sind etwas weniger ablenkbar. Sie entwickeln Schulreife. Die Aufmerksamkeitsspanne zu Beginn der Volksschule liegt bei 10 bis 15 Minuten.

Mit ca. 8 Jahren erfolgt der nächste Entwicklungssprung. Die Kinder können ihre Aufmerksamkeit noch einmal bewusst(er) und länger steuern, die Aufmerksamkeitsspanne wird größer.

Erst frühestens mit 14 Jahren ist die Aufmerksamkeitsentwicklung auf durchschnittlichem Erwachsenenniveau. Erst dann steht so viel Aufmerksamkeitsressource zur Verfügung, dass die Aufmerksamkeit auch auf mehrere Aufgaben gleichzeitig verteilt werden kann und Multitaskingfähigkeit gegeben ist. Beobachtet man Kinder dabei, wie sie Anforderungen bewältigen, die die Erfüllung mehrerer Aufgaben gleichzeitig erfordern – wie z.B. das Linksabbiegen mit dem Fahrrad – so sieht man, dass sie versuchen, die Aufgaben schnell hintereinander zu erledigen.

Zu einem massiven erhöhten Unfallrisiko kommt es, wenn die entwicklungsbedingt noch nicht vollständig zur Verfügung stehenden Aufmerksamkeitsressourcen durch Ablenkung weiter reduziert werden.

Unser Tipp
Achten Sie darauf, dass das Smartphone Ihres Kindes am Schulweg in der Schultasche bleibt. Auch Musikhören mit Kopfhörern lenkt ab und führt unter anderem dazu, dass sich die Reaktionszeit um mind. 50% erhöht.

2. Konkret-operationale Denkstruktur

Nach der gängigen Theorie der geistigen Entwicklung von Piaget (1983) befinden sich Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren in der sogenannten konkret-operationalen Phase des Denkens. In dieser Entwicklungsphase sind Denk- und Lernvorgänge an das konkrete Erleben und Tun gebunden. Höhere, abstraktere Denkprozesse werden erst allmählich erworben und ermöglichen dann ein vom Konkreten (z.B. Auffinden des sichersten Weges zur Schule durch Abgehen der verschiedenen Wegmöglichkeiten) losgelöstes Denken hin zu einer abstrakteren Denkstruktur (das wäre dann für unser Beispiel das Herausfinden des sichersten Weges zur Schule durch Planlesen).

Kindern bis zum Alter von 12 Jahren fällt Abstraktion noch schwer, Lernprozesse müssen an praktische Erfahrungen und Handlungen geknüpft sein und brauchen Erklärungen und Wiederholungen.

3. Abstraktions- und Antizipationsvermögen noch in Entwicklung

Abstraktionsvermögen ist laut dem Dorsch-Lexikon der Psychologie (Wirtz, 2017, S. 91) „die Fähigkeit (z. B. beim Problemlösen), abstrakte, d. h. nicht-gegenständliche Vorstellungen verwenden zu können.“ Wichtig ist diese Fähigkeit im Straßenverkehr nicht nur, um Verkehrswissen anwenden zu können. Sie ist auch eine wesentliche Voraussetzung dafür, um eine Verkehrsregel von einer Situation auf eine andere umlegen zu können. Man benötigt sie auch, um antizipieren zu können, wie sich eine Verkehrssituation weiter entwickeln könnte sowie um ableiten und abschätzen zu können, ob sich daraus eine Gefahr für die eigene Verkehrssicherheit ergeben könnte.

Was ist für Sie in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen?

4. Wissen ≠ Verstehen (begünstigt es aber) ≠ Anwenden (können)

Kinder verfügen im Allgemeinen bereits zu Beginn der Volksschule über gutes Verkehrswissen, welches sich bis zum Ende der Volksschule, wie in der folgenden Abbildung, dargestellt deutlich verbessert.

Abbildung: Entwicklung des Verkehrswissens über die Volksschulzeit

Gutes Verkehrswissen und richtiges Verkehrsverhalten sowie richtige Regelanwendung stehen ohne Abstraktionsvermögen jedoch nicht in direktem Zusammenhang. Verkehrswissen kann bis ca. zum 12. Lebensjahr, wie bereits ausgeführt, nur durch wiederholtes Üben im realen Verkehrsumfeld auch richtig angewendet werden. Verkehrsregeln müssen für jede Situation extra erklärt und geübt werden.

Unsere Tipps dafür finden Sie im folgenden Video.

5. Entwicklung eines Gefahrenbewusstseins

Ein Gefahrenbewusstsein entwickelt sich über mehrere Stufen. Im Vorschulalter haben Kinder noch kein hinreichendes Gefahrenbewusstsein im Straßenverkehr; Realität und Fantasie verschmelzen noch. Zu Beginn der Volksschulzeit verfügen die meisten Kinder über ein beginnendes Gefahrenbewusstsein. Das bedeutet, dass sie eine Gefahr erst dann als solche erkennen können, wenn sie bereits akut ist und sie sich bereits in der gefährlichen Situation befinden. Für eine gefahrenvermeidende Reaktion ist es zu spät, Sturz oder Unfall können nicht mehr verhindert werden.

Im Alter von ca. 8 Jahren ist die kognitive Entwicklung für gewöhnlich so weit fortgeschritten, dass die Kinder eine bereits gelernte Gefahr vorausschauend als solche erkennen können. Erst am Ende der Volksschulzeit gelingt es aber, auch mit gefahrenvermeidenden Handlungen präventiv z.B. durch Wählen einer Alternativroute auf eine gelernte, erkannte Gefahr zu reagieren.

Wie sich diese Entwicklungsstufen eines Gefahrenbewusstseins im Straßenverkehr in konkreten Aussagen von Kindern widerspiegeln, sehen und hören Sie im folgenden Video.

Unser Tipp an Sie

Sie können die Entwicklung eines Gefahrenbewusstseins bei ihrem Kind fördern, indem Sie ihm regelmäßig erklären, wie sich eine bestimmte Verkehrssituation weiter entwickeln könnte und was dabei ggf. gefährlich werden könnte. Die Kinderunfallforschung zeigt deutlich, dass Kinder mit einem guten Gefahrenbewusstsein weniger verunfallen als Kinder, die keine potentiellen Gefahren antizipieren können.